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Werbung und Recht

Wie viele Schocks

verkraftet die Welt?

Zur Interpretation der Benetton-Werbung durch das Bundesverfassungsgericht

 

 

Keywords 

Was ist eigentlich mit der beliebten Google-Werbung im Blick auf die Verwendung von keywords: Die verwendeten keywords bestehen durchweg aus allgemeinen, rein beschreibenden Begriffen, die zum Teil mit Ortsangaben kombiniert sind. In der Verwendung solcher keywords durch einen Anbieter, der in der betreffenden Branche tätig ist, liegt weder eine unzulässige Behinderung von Wettbewerbern noch ein wettbewerbswidriges Umleiten von Kunden. Gerade weil es sich um allgemeine und beschreibende Begriffe handelt, muss es vielmehr grundsätzlich jedem Wettbewerber möglich sein, sich dieser Begriffe als keywords zu bedienen (OLG Karlsruhe -6 U 69/07).

Werbung und Recht

Wie viele Schocks verkraftet die Welt?

Zur Interpretation der Benetton-Werbung durch das Bundesverfassungsgericht

In einer Bilderwelt, die von schockierenden, tabulosen, reißerischen, geschmacklosen und überflüssigen Darstellungen durchzogen ist, mag der langjährige gerichtliche Streit über die Zulässigkeit von drei Anzeigen der Benetton-Werber anachronistisch erscheinen. Benetton [1] hatte in den beanstandeten Kampagnen die Imagewerbung vorläufig auf ihren Höhepunkt getrieben: "H.I.V. positive" als Stempel auf dem nackten Gesäß, ein dem Tode geweihter Seevogel auf dem Ölteppich, Kinderarbeiter in der Dritten Welt.

Aufmerksamkeit ist bekanntlich das kostbarste Gut in einer Gesellschaft, die mit härtesten Medienbandagen arbeiten muss, um Kunden zu halten und zu fangen. In Zeiten der Reizüberflutung wird die Schraube der Werbenden immer fester angezogen, um den Blick des königlichen Kunden zu fesseln.

Trotz dieser fatalen Gesetzmäßigkeit eines immer brutaleren Wettbewerbsstils, den Benetton letztlich nicht erfunden, sondern nur bereichert hat, war dem Bundesgerichtshof dieser gnadenlose Kampf um die Aufmerksamkeit letztlich doch zu viel. Presse- und Meinungsfreiheit reichten nach dem höchsten Zivilgericht der Bundesrepublik nicht so weit, der Menschheit auch solche Abbildungen zuzumuten.

Nun ist die Menschheit einiges gewöhnt, Elendsbilder wurden spätestens seit dem Kinderhungersterben in Biafra zum ständigen Schatten der Wohlstandsgesellschaften, aber richterliches Mitgefühl für Menschen hier zu Lande darf man nicht vorderhand beklagen. Wer also im geschäftlichen Verkehr mit der Darstellung schweren Leids von Menschen oder Tieren Gefühle des Mitleids ohne sachliche Veranlassung zu Wettbewerbszwecken ausnutze, verlasse nach Auffassung des Gerichts, auch bei reiner Imagewerbung, die guten Sitten. Gewerbetreibende dürften öffentlich zu gesellschaftlich bedeutsamen Ereignissen Stellung nehmen, um ihre Bekanntheit im geschäftlichen Interesse zu steigern. Anders falle die wettbewerbsrechtliche Beurteilung jedoch aus, wenn die öffentliche Äußerung zur Auseinandersetzung über das Thema nichts Wesentliches beitrage, sondern nur darauf abziele, beim Verbraucher eine mit dem Werbeunternehmen solidarisierende Gefühlslage zu schaffen, die der Steigerung des Unternehmensprestiges diene und damit letztlich kommerziellen Zwecken.

Die Argumentation ist schon jenseits der juristischen Bewertung von der psychologischen Tatsachenlage her anfechtbar, weil die Benetton-Werbung wie jede Schockwerbung auf heterogene Positionen einer entzweiten Öffentlichkeit stößt. Ob danach mehr bunte Pullis und Schals verkauft werden oder gar echte Solidarisierungen mit den hochmoralischen Schaumschlägern der Unmenschlichkeit verbunden sind, ist zweifelhaft. Hier gilt nicht nur der alte Spruch, dass Werbende nie wissen, welche Hälfte ihrer Werbekosten aus dem Fenster geworfen ist, sondern weiter gehend, ob sich Werbung nicht in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man den Kunden auf dem falschen Fuß erwischt. Und schließlich: Gibt es in Zeiten von Pulp Fiction bis Völkermord im Kosovo überhaupt noch echte Schocks, wie es die Surrealisten ersehnten? Sind wir nicht längst gegenüber dem medialen Schrecken so anästhesiert, dass es uns allein schockieren würde, wenn der allfällige Schrecken ausbliebe?

In seinem Urteil zu der Anzeige "H.I.V. POSITIVE" ventilierte der Bundesgerichtshof diese Fragen nicht, sondern legte noch nach: Die Werbeanzeige nutze nicht nur Mitleidsgefühle aus, sondern verstoße in grober Weise gegen die Grundsätze der Wahrung der Menschenwürde, indem sie den AIDS-Kranken als "abgestempelt" und ausgegrenzt darstelle. Einer Abstumpfung gegen die Diskriminierung leidgeplagter Menschen und einer aufkeimenden Mentalität des "Abstempelns" müsse auch im Wettbewerbsrecht entgegengewirkt werden.

Kein verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht des Zeitgenossen auf Unberührtheit gegenüber dem Elend dieser Welt

Das Bundesverfassungsgericht  hat nun dieser einseitigen Hermeneutik in seiner Entscheidung  über die Verfassungsbeschwerden des Verlags "Gruner + Jahr" vom 12.12.2000 eine gründliche Absage erteilt. Vorab gelte, dass es sich bei Benettons Schockern um sprechende Bilder handelt, die den Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit genießen. In der Systematik der Grundrechtsprüfung geht es also lediglich um Einschränkungen, die grundsätzlich einer Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte Dritter bedürfen. Das gilt nach Auffassung des Gerichts für kritische Meinungsäußerungen zu gesellschaftlichen Fragen in besonderem Maße.

"Dass möglicherweise die Verbraucher an "positive" Bilder eher gewöhnt sind als an Appelle an das Mitleidsgefühl rechtfertigt es nicht, letzteren belästigende Wirkungen zuzuschreiben. Auch Gemeinwohlbelange sind nicht betroffen. Es lässt sich nicht feststellen, dass Werbung, die inhumane Zustände und Umweltverschmutzung anprangert, Verrohungs- oder Abstumpfungstendenzen in unserer Gesellschaft fördern würde.

Andererseits greift das Verbot schwerwiegend in die Meinungsfreiheit ein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Anzeigen der Firma Benetton zur Auseinandersetzung über die von ihnen aufgezeigten Missstände nichts wesentliches beitragen. Auch das bloße Anprangern eines Missstandes steht unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG und wird durch den Werbekontext nicht in Frage gestellt."

Die Kernaussage des Verfassungsgerichts lautet: Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Freilich hat das Bundesverfassungsgericht damit nicht sämtliche Fälle zukünftiger Schockwerbung entschieden, weil zugleich festgestellt wird, dass es anders zu beurteilen sein könnte, wenn Ekel erregende, Furcht einflößende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt werden. Websites wie www.rotten.com mögen sich also vorsehen. Zumindest eine hochmoralische Quintessenz wurde von den Verfassungsrichtern ermittelt: Es gibt kein verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht des Zeitgenossen auf Unberührtheit gegenüber dem Elend dieser Welt.

Das Bundesverfassungsgericht erkennt in der heutigen Werbung das Bestreben, durch gefühlsbetonte Motive Aufmerksamkeit zu erregen und Sympathie zu gewinnen. Kommerzielle Werbung mit Bildern, die mit suggestiver Kraft libidinöse Wünsche wecken, den Drang nach Freiheit und Ungebundenheit beschwören oder den Glanz gesellschaftlicher Prominenz verheißen, sei allgegenwärtig. Es möge zutreffen, dass der Verbraucher diesen Motiven gegenüber "abgehärtet" sei. Ein solcher Gewöhnungseffekt rechtfertige es jedoch nicht, einem Appell an das bisher weniger strapazierte Gefühl des Mitleids belästigende Wirkungen zuzuschreiben.

Das ist indes nicht ganz konsequent, weil die Reaktionen der Kläger und der Öffentlichkeit offensichtlich dafür sprechen, dass sich Menschen durch Benettons Bilderwelten erheblich belästigt fühlen. Immerhin teilte der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. mit, über das von der Firma Benetton veröffentlichte Anzeigenmotiv "H.I.V. POSITIVE" hätten sich beim Deutschen Werberat 289 Personen beschwert. Dies sei mit Abstand die höchste Zahl von Beschwerden, die den Deutschen Werberat je in Bezug auf eine einzelne Werbemaßnahme erreicht hätten.

Aber belästigt nur Benetton oder nicht die ganze aufdringliche Werbung, die inzwischen wie eine bunte Seuche durch Medien und urbanen Raum zieht und noch jeden Spielfilm der Privatsender in unverdauliche Fetzen haut? In reizüberfluteten Gesellschaften ist Belästigung ja geradewegs zur "Verkehrsform", zum sozialadäquaten Kommunikationsstil zwischen Unternehmen und Kunden geworden. Die Frage wäre eher soziologisch zu stellen, wie viel geistige Umweltverschmutzung durch Aufmerksamkeitsfänger eine Gesellschaft überhaupt noch verkraftet.

Das Verbot beeinträchtigt nach richterlicher Auffassung jedenfalls die Meinungsfreiheit in schwer wiegender Weise. Die Anzeigen wiesen auf gesellschaftlich und politisch relevante Themen hin und seien auch geeignet, diesen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. So würden die Kinderarbeiter in einer zwar Mitleid erregenden, aber keineswegs abfälligen oder negativen Sicht dargestellt. Der Werbekontext als solcher reiche für eine Verletzung menschlicher Achtungsansprüche nicht aus. Selbst im Fall der "H.I.V. POSITIVE-Werbung" würden die Opfer nicht abgestempelt. Dass damit der skandalöse, aber nicht realitätsferne Befund einer gesellschaftlichen Diskriminierung und Ausgrenzung H.I.V.-Infizierter bekräftigt, verstärkt oder auch nur verharmlost würde, wollte sich dem Gericht nicht aufdrängen. Mindestens ebenso nahe liegend sei die Deutung, dass auf die Ausgrenzung H.I.V.-Infizierter in anklagender Tendenz hingewiesen werden soll.

Die semiologische Vieldeutigkeit von Aussagen, die etwa seit Umberto Ecos oder Roland Barthes Ausflügen in die Bilderwelten von Werbung und Politik vorausgesetzt werden darf, bestimmt nicht erst seit dieser Entscheidung des BVerfG die Verfassungsinterpretation, sondern hat schon zuvor angefeindete Kunstwerke vor dem staatlichen Zugriff bewahrt. Danach könne nach Aussage des Gerichts mit dem Foto auch beispielsweise für einen AIDS-Kongress geworben werden. Benettons Bildsprache sei zwar reißerisch und in einem konventionellen Sinne ungehörig. Allein daraus lasse sich aber weder Zynismus noch eine affirmative Tendenz ablesen. Die Darstellung sei, dem Medium einer Werbeanzeige entsprechend, darauf angelegt, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu fesseln.

Nun könnte man dem mit dem BGH entgegenhalten, dass der Zynismus gerade darin liegt, den Kampf um die Aufmerksamkeit mit moralischen Positionen zu gewinnen, die zum sozialethischen Standardrepertoire gehören, ohne dass die Identifikation Benettons einem anderen Gewissen als dem des erfolgreichen Gefühlsvermarkters entspringen würde. Benetton schwingt zwar die moralische Keule, aber andererseits reicht das plakativ gewordene Elend dieser Welt offensichtlich nicht dazu, karitative Großtaten folgen zu lassen. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht Recht - wie auch anders? - , weil der Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird.

Damit erweist sich das Verfassungsgericht in seiner Interpretation als wirklichkeitsnäher und unkonventioneller als der Bundesgerichtshof, dessen unbestimmter Rechtsbegriff der "guten Sitten" letztlich doch noch erheblich vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden durchtränkt zu sein scheint. Die Werbewelt ist zumeist heil gewesen und das öffentliche wie juristische Ärgernis entstand durch den Einbruch der Weltübel in dieses Paradies des Waren-Menschen. Aids und andere Menschheitsseuchen passen nicht gut zur prästabilierten Harmonie der Reklame. Aus dieser Harmonie sind aber zuletzt justiziable Maßstäbe zu gewinnen.

Die Konditionen in der aufmerksamkeitsgierenden Werbung sind mindestens so kompliziert geworden wie die Verhältnisse im "wahren Leben"

Gleichwohl möchte man sich nicht leicht für diese oder jene Position entscheiden, da die Meinungsfreiheit zwar ein hohes Verfassungsrechtsgut ist, aber die Sympathien für Benetton sich schon deshalb in Grenzen halten, weil offen bleibt, ob die Herren überhaupt etwas meinen oder doch letztlich nur verkaufen wollen. Nach der vom Verfassungsgericht zitierten Ansicht des Fotografen Oliviero Toscani, des kreativen Vaters der Anzeigen, benutzt Benetton zwar die Schockwerbung als "Vehikel, um eine antirassistische kosmopolitische und tabulose Geisteshaltung" zu verbreiten. Indes macht das Statement klar, dass Werbung ein paradoxes Geschäft ist. Denn die hehre Geisteshaltung von Benetton, dem spätaufgeklärten Tabuverletzer, kombiniert sich problemlos mit dem banalsten Kommerzinteresse.

Das Bundeskartellamt hat dann das Dilemma, an dem sich die Gerichte mit so unterschiedlichen Resultaten abarbeiten mussten, auch auf den eigentlichen Punkt gebracht: Für Bekleidung im unteren bis mittleren Preissegment sei Imagewerbung nahe liegend und werde durch die Tendenz zu europa- oder weltweiten Vermarktungsstrategien begünstigt. Man muss also sich und seine Meinung verkaufen, um überhaupt zu verkaufen. Ob das schutzwürdig ist - jenseits des Problems schockierender Werbeinhalte - wäre also die wahre Frage des Ketzers, die aber unter der Geltung des Grundgesetzes eben nicht gestellt werden kann. Die Konditionen in der aufmerksamkeitsgierenden Werbung sind also mindestens so kompliziert geworden wie die Verhältnisse im "wahren Leben".

Nun ist die Zukunft der Schockwerbung auch nach ihrer höchstrichterlichen Billigung nicht gesichert. Denn wer hier wieder den Untergang der guten Sitten, wenn nicht gar des Okzidents fürchtet, kann beruhigt werden. Die singuläre Erscheinung des italienischen Textilimperiums wird nicht allzu viele Nachfolger auf den Plan rufen, weil die Werbewirtschaft die Schockwerbung längst zum Auslaufmodell erklärt hat. Das Vertrauen des Kunden könne darauf zuallerletzt gegründet werden. Was wiederum beweisen würde, dass die Selbstheilungskräfte eines wild gewordenen Turbokapitalismus nicht immer hinter den Sittenwahrern zurückstehen, sondern diese Gesellschaft auch und gerade in der Werbung die beste aller möglichen ist.

Dr. Palm

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